(Annemarie Maag zur Ausstellung im Mühlestall Allschwil von 2004)
Selten passiert es, dass der Nachlass eines Künstlers ein Dutzend Jahre nach dessen Tod noch weitgehend komplett ist. Und noch seltener kommt es vor, dass ein Künstler von einer nächsten Generation Kunstbegeisterter wirklich neu zu entdecken ist.
Beim Basler Maler Kurt Volk (1919 bis 1993) ist beides der Fall: Da lagert ein reicher Fundus an Glasbildern in einem Glasatelier in Basel, ein noch üppigerer Nachlass an Bildern in der Zivilschutzanlage eines Baselbieter Dorfes. Und es lohnt sich, Kurt Volk wieder kennen zu lernen. Der Künstler ist bereits etwas in Vergessenheit geraten; wer nach Bildern in alten Katalogen oder gar nach einer Monografie recherchiert, sucht vergeblich. Dabei ist Volk ein Maler mit einer abgeschlossenen künstlerischen Ausbildung (bei Arnold Fiechter, Theo Eble und Walter Bodmer), der sich später als Schüler von Charles Hindenlang weiterschulte, vor allem in der Glasmalerei. Volk stellte regelmässig an den Basler Weihnachtsausstellungen aus, er hat in vielen öffentlichen Bauten Glasbilder (zum Beispiel in der Ref. Kirche Bottmingen und in der Friedhofkapelle Allschwil) sowie Wandschmuck (etwa "Ländliches" im Niederholzschulhaus Basel) gemacht, und er ist gar der Schöpfer einer Pro Patria-Marke von 1971 geworden.
Was weniger selten vorkommt, sondern eher als Regel gilt: Frauen aus der nächsten Verwandtschaft eines Künstlers, seien es Töchter, Witwen oder Schwestern, betreuen die Nachlässe respektvoll und entschliessen sich im Idealfall sogar zu Ausstellungen.
Bei Kurt Volk ist es die Tochter Christina Volk (bekannt als Musikerin und Bühnenkünstlerin), die sich mit einer Gruppe von Fachfrauen um den Nachlass kümmert und 2004 eine erste Präsentation im Mühlestall in Allschwil organisierte. Diese Ausstellung begeisterte Kunstfreunde und -freundinnen mit ihren vielen kostbaren Glasscheiben und mehreren Dutzend Bildern.
Das künstlerische Schaffen von Kurt Volk ist durch besondere Themenkreise gekennzeichnet: die vier Elemente, die sieben Schöpfungstage, Tages- und Jahreszeiten, Fasnacht und Zirkus, Landschaften, insbesondere Seen und Wasser, Pflanzen und Tiere, Tierkreiszeichen, Portraits.
Bei Künstlern wie Van Gogh sagt man, ihr Leben sei Farbe, bei Segantini, sein Werk sei Licht. Bei Volk könnte man formulieren, sein Oeuvre sei dem Bildnis gewidmet.
Naturgemäss sind seine Menschenbildnisse eher unter den Ölbildern und den Zeichnungen, weniger unter den Glasarbeiten zu finden. Ein frühes Portrait des Bruders zeigt einen leicht vorgebeugt sitzenden Mann mit zweiflerischem Gesicht, vielleicht ein Schlüsselwerk des Malers. Familienmitglieder, besonders die beiden Kinder, kommen oft vor, ungeschönt, unsentimental, ausdrucksstark. Frauenportraits sind manchmal etwas idealisierend, gelegentlich aber, besonders wenn mehrere Versionen vorhanden sind, auch von ungeschminkter Realität. Eine Bilderkategorie für sich sind die Harlekin-Portraits des früh verstorbenen Sohnes Jan: Ölbilder, Zeichnungen und, besonders erwähnenswert, Glasbilder. Es ist nicht der Harlekin der Basler Fasnacht, es ist der Arlecchino der Commedia dell’ Arte, der immer auch den Tod bedeutet. Es gibt ein quadratisches Glasbild in dunklen Tönen, das einen sitzenden Harlekin mit Gitarre zeigt, der eine schwarze Halbmaske trägt - ein eindrückliches, hintergründiges Bild.
Auch bei Tierbildern, die oft in Bleiglastechnik gestaltet sind, könnte man von Portraits reden. Vielleicht spricht Volk verschlüsselt von menschlichen Eigenschaften, wenn er Tiere darstellt, beim Fuchs von Schlauheit und Wendigkeit, bei der Katze von Sinnlichkeit und Unabhängigkeit, beim Widder von Kraft und Stärke, beim Pferd von Schnelligkeit und Schönheit, bei den Fischen und den Vögeln von Freiheit, von Beweglichkeit und der Fähigkeit, im je eigenen Element zu leben. Es bleibt bei Volks Tierdarstellungen viel Rätselhaftes, schwer zu Deutendes, ähnlich, wie wenn uns im Traum Tiere erscheinen: die verwandte und doch fremde Kreatur. Der Künstler scheint dieser absichtsvoll ihr Geheimnis zu lassen.
Ähnlich verhält es sich mit Blumenbildern: Seine Sonnenblumen, ein wiederkehrendes Sujet, sind alles andere als lieblich; sie sind kraftvoll, geradezu männlich, aber auch mit dunklen Konturen geschützt und gepanzert. Ob sie den Künstler selber darstellen?
Selbst die Gestirne, aber auch Landschaftsbilder könnten Seelenkartografie sein. Auffällig oft kommt die Petersinsel im Bielersee vor, die bei Volk wohl weniger den Traum von der Ferieninsel, sondern eher die Toteninsel verkörpert. Auf dem Einladungsbild zur Ausstellung schwebt sie zwischen Himmel und Erde in einem Wasser-Luft-Element aus Lila, Lachs und Beige, mit einer orangefarbenen untergehenden Sonne.
Manchmal bekommt man das Gefühl, Volk rede, bei aller sichtbaren Vordergründigkeit, in Symbolen, in heraldischen Zeichen und Hieroglyphen, manchmal gegenständlich, dann wieder in verschiedenen Stufen von Stilisierung und Abstraktion. Beim Bildaufbau fällt oft die horizontale oder vertikale Gliederung auf oder aber die starke Betonung der Diagonalen. Der an sich legasthenische Maler, der übrigens dem schriftlichen Ausdruck zeitlebens ausgewichen ist, scheint in einem festen Koordinatennetz Strukturierung und räumliche Orientierung gefunden zu haben. Aber dadurch, dass er auf die Datierung seiner Arbeiten konsequent verzichtete, macht er den Betrachtenden zeitliche Orientierung und Einordnung sowie das Nachvollziehen einer künstlerischen Entwicklung schwer. Doch ob die Werke nun aus dem Frühwerk oder aus späteren Schaffensphasen stammen - immer sind sie formal gekonnt und farblich ausgewogen; be-wusst habe er sie gestaltet, bewusst das Gefällige und Elegante gemieden, bewusst das Einfache, gar Lapidare gesucht.
Volks Schaffen zeichnet sich auch durch spezielle Techniken aus. Neben Glasbildern, in welchen der Künstler im Gestalterischen wie im Technischen eine grosse Meisterschaft und Individualität erreichte, finden sich Graffiti, die auch Entwürfe zu Wandbildern wurden. Besonders originell sind Kurt Volks bemalte alte Paletten. "Für mich ist das Bemalen von gebrauchten Holzpaletten wichtig geworden. Einerseits hat es Aspekte eines zeitgemässen Recyclings, und andrerseits ist es auch ein Zurückgehen auf eine mittelalterliche Technik (Tafelbilder sind eigentlich Bilder auf Holztafeln)", sagte der Künstler einst. Immer sind die Längs- oder Querlatten sichtbar, oft scheint, wie in den vier Jahreszeitenbildern, der Holzhintergrund durch, was den Werken Lebendigkeit und Natürlichkeit gibt. Im Zusammenhang mit Volks Vielfalt an Techniken sind schliesslich auch seine verschiedenen Objekte zu erwähnen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Und nicht zuletzt schuf der Künstler auch Teppichentwürfe, welche von Lisa Volk-Mattmüller in Webkunstwerke umgesetzt wurden.
Es bleibt noch die Frage nach der Einbindung des Künstlers in seine Zeit. Wie manifestieren sich in seinem Werk zum Beispiel seine Erfahrungen in der Schweiz während dem Zweiten Weltkrieg als Sohn ehemals deutscher Eltern?
Seine Tochter äusserte sich dahingehend, dass ihr Vater von Politik nichts wissen wollte, dass er auch nie politische Aussagen machte und kein Interesse daran hatte, dass seine Bilder politisch gedeutet werden könnten.
Der Künstler selber sagte: "In meiner Arbeit versuche ich, dem ganz Alltäglichen Form und Ausdruck zu geben, und hoffe, damit Freude am Geringen und Selbstverständlichen zu wecken." Es ist zu erwarten, dass ihm dies mit der Retrospektiv-Ausstellung auch postum gelingt.
Annemarie Maag